Scooter

Der folgenden Text ist ein Auszug aus dem Buch “Das andere Ende der Leine” von Patricia B. McConnell.

Die traurige Geschichte von Scooter befindet sich unter der Überschschrift: Dominanz?

” … Nie, niemals werde ich die Videoaufnahmen von Scooter vergessen, einem großäugigen, sechzehn Wochen alten Golden Retriever Welpen. Nur ein Blick auf Scooter – weich und golden, Babykopf und große Tapspfoten – und man mochte ihn zum Knuddeln mit nach Hause nehmen. Zu spät – Scooter ist tot. Im Alter von vier Monaten wurde er wegen Dominanzaggression eingeschläfert, das Ergebnis der fürchterlichen Anweisungen, die Hundetrainer den gutwilligen Besitzern gegeben hatten. Scooter war, wie die meisten Retriever, versessen auf Gegenstände. Er liebte Spielzeuge ab dem ersten Tag in seinem neuen Zuhause und trabte stolz mit allem, was er in den Fang kriegen konnte, durchs Haus. Die verantwortungsbewussten Besitzer besuchten mit Scooter den Welpenkurs einer Hundeschule und fragten, was sie tun sollten, wenn Scooter Socken aus der Wäsche, die Fernbedienung vom Tisch (bei Hunden immer sehr begehrt) oder Schuhe aus der Diele stahl. »Sie müssen tun, was Wölfe auch tun!« sagten die Trainer. »Gehen Sie hin, packen ihn am Nackenfell und schauen ihm direkt ins Gesicht. Sagen Sie mit lauter und drohender Stimme ‘Nein’. Sie müssen ihm von Anfang an klarmachen, dass Sie das Sagen haben, dass Sie ranghöher sind und dass er nicht mit dem Sachenklauen durchkommt.«

Die Besitzer gehorchten: Ich sah ihre Versuche auf Video. In den ersten Stadien seiner Behandlung wirkte Scooter verwirrt und ängstlich. Scooter, ein Kinderspielzeug fest zwischen den Zähnen haltend, scheute zurück, als seine (todunglücklich aussehende) Besitzerin ihn am Nackenfell packte, schüttelte und immer wieder »Nein« sagte. Aber Scooter ließ das Spielzeug nicht los. Ich glaube auch nicht, dass ihm diese Idee in den Sinn kam. Scooter wusste nichts weiter, als dass sein Frauchen ihn angriff. Er verspannte alle Muskeln, schloss seine Augen, versuchte, eine beschwichtigende Körperhaltung einzunehmen und wartete, bis es vorbei war. Aber natürlich führte all das nicht dazu, dass er das Spielzeug aus seinem verkrampften Fang fallen ließ, also schrie die Besitzerin lauter, näherte ihr Gesicht das dem Scooters bis auf wenige ?Zentimeter und schüttelte weiter. Weiter hinten auf dem Videoband beginnt Scooter zu knurren, wenn seine Besitzerin ihn schüttelt und bedrängt und schließlich beginnt er zu knurren und in Angriffsstellung zu gehen, wenn sie sich nur einem für ihn wertvollen Gegenstand nähert – selbst, wenn er ihn gar nicht im Fang hat.

Die letzte Szene ist in der Tat furchteinflößend: Mit stechendem Blick geht Scooter knurrend auf seineglücklose Besitzerin los, als sie versucht, ein über einen Meter vor seinen Pfoten liegendes Spielzeug aufzuheben. Aber ich fühle mich immer noch miserabel, wenn ich an seinen Tod denke. Scooter war sicher kein kleiner Engel. Seine Objektbesessenheit war extrem, und ich hätte ihm nie in einem Haus mit kleinen Kindern vertraut. Aber als ich mit der Tierarzthelferin sprach, die spät in diesem Fall angerufen worden war, sagte sie, dass der Hund nie in einem anderen Zusammenhang geknurrt hatte, dass er die kleinen Söhne der Familie liebte und der Star der Hundeschule war. Sicher reagieren viele Hunde nicht aggressiv auf harsche Bestrafung und Bedrohung, aber der Rat, den man Scooters Besitzern gegeben hatte, machte seine Verteidigung von Gegenständen nur schlimmer und führte letzten Endes zu seiner Tötung. Das Traurigste an diesem Fall ist, dass Hunde, die Gegenstände verteidigen, aber: ansonsten sanft und freundlich sind, mit einer extrem hohen Erfolgsrate behandelt werden können. Die meisten drei Monate alten Welpen lernen schnell, brav herzugeben, was sie gerade im Fang haben. Wenn sie begreifen, dass sie anschließend etwas besonders Tolles bekommen, wenn man. ihren »Schatz« haben möchte, lernen sie schnell, sich auf den Handel ein ­zulassen. Nach ein paar Monaten Training mit positiver Bestärkung und ohne Gewalt geben so gut wie alle Hunde auf Kommando jeden beliebigen Gegenstand her, egal ob Sie ein Leckerchen in der Hand haben oder nicht. Ich belohnte einmal einen fünf Monate alten Border Collie dafür, dass er mir ein halbverwestes Kaninchen hergab, indem ich ihm das Ding für ein paar Minuten wiedergab. Die zuschauenden Besitzer waren angeekelt, aber die Hündin war beeindruckt und vertraute mir von diesem Moment an. …

Ich wünschte Geschichten, wie die von Scooter sind selten, aber sie sind es leider nicht. …”

Aus: Patricia B. McConnell. Das andere Ende der Leine. Nerdlen/Daun. 22020. S. 190ff.

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